Auf große Resonanz stieß der in seiner Form bisher einmalige Diskussionsabend zum Thema „Zwei Seiten der Medaille“. Der Trägerverein des Sportinternats und der Kooperationspartner der Bildungseinrichtung, die Stadtwerke Münster, stellten offensiv die Frage „Ausbildung und Leistungssport – greift unser duales System?“ in den Raum und suchten mit drei ganz unterschiedlich besetzten Diskussionsrunden erste Antworten.
Zu den Stadtwerken reisten geladene Gäste, interessierte Bürgerinnen und Bürger, Vereinsvertreter und Funktionäre, Wissenschaftler der Uni Münster sowie Vertreter der im Rat der Stadt aktiven Parteien an. Und die jungen Internatsbewohnerinnen und -bewohner plus Betreuerstab.
Foto oben: Philipp Stüer, Jürgen Hingsen, Kim Behrens, Moderator Uwe Peppenhorst (v. links)
Jürgen Hingsen: „Jetzt ist es knallhart“
Die an der Salzmannstraße lebenden und in der überwiegenden Mehrzahl an der NRW-Sportschule Pascal-Gymnasium gen Abitur büffelnden Kids sind ja mitten drin im münsterischen Netzwerk, das geknüpft wurde, um jungen Talenten die duale Karriere zu ermöglichen, damit sie alle den sportlichen wie schulischen Anforderungen zugleich nachkommen können, ohne „das Leben an sich“ aus dem Auge zu verlieren.
Nach den Begrüßungsworten von Henning Müller-Tengelmann, dem kaufmännischen Geschäftsführer der Stadtwerke, Bürgemeisterin Karin Reismann und Peter Bochnia, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins zur Förderung des Leistungssports in Münster, führte dessen Geschäftsführer Uwe Peppenhorst die erste Diskussionsrunde. Mit dem früheren Olympiastarter und Zehnkampf-Ass Jürgen Hingsen (58), der an der Deutschen Sporthochschule Köln studierte, dem für Münsters Rudersport auf Weltniveau so erfolgreichen Dr. Philipp Stüer (40) und der früheren Internatsbewohnerin Kim Behrens (24), der nach Stuttgart gezogenen Beachvolleyballerin und Polizei-Kommissarin, beleuchtete ein Trio die Problematik, die es selbst bewältigte. Erkrankt absagen musste mit Ingrid Klimke (48) die als Vielseitigkeitsreiterin seit Jahren auf höchstem Niveau erfolgreiche Münsteranerin.
Hingsen beschrieb, dass die Athleten aus seiner großen Phase „mehr Zeit hatten“ und mehr Freiräume im Vergleich zu heute. „Jetzt ist knallhart, weil alles komplexer wurde und damit auch die Ansprüche gestiegen sind.“ Der von Rückschlägen nicht verschonte 2,03-m-Hüne betonte die Wichtigkeit eines „Fundaments, das einen auffängt, wenn es im Sport einmal nicht läuft.“ Stüer wünschte sich, „dass sich Leistungssportler ein Umfeld schaffen, das alles ermöglicht.“ Der ehemalige Maschinenbaustudent und Ruder-Weltmeister von 2002 erzählte, wie für ihn „eine Welt zusammenbrach“, als er 2008 aus der Olympia-Nominierung gekippt wurde. Aus der Niederlage heraus habe er dann einen anderen Weg gewählt. Kim Behrens, 2007 bis 2011 auf dem Internat, hat „in Münster ein gute Entwicklung“ genommen und entschloss sich dann für den Polizeiberuf, „weil in ihm eine Spitzensportförderung möglich ist. Ich wollte und will mich nicht auf ein Standbein verlassen.“
Chenoa Christ: „Mehr Freiraum“
Mit Michael Schmitz von Borussia Münster, dem Stellvertretenden Vorsitzenden des Stadtsportbundes Münster (SSB), moderierte ein Sport-Insider die mit Internatlern besetzte Runde. Volleyballerin Chenoa Christ (USC Münster), Ruderer Yannick Sacherer (RV Münster), Basketballer Tim Kosel (UBC Münster/WWU Baskets) und Weitspringer Björn Ole Klehn (Preußen Münster) gaben Einblicke in ihren langen Tag, beschrieben persönliche Ziele und münsterische Vorteile.
Foto: Moderator Michael Schmitz, Tim Kosel, Yannick Sacherer, Chenoa Christ, Björn Ole Klehn (v. links)
Schmitz enlockte dem Quartett auch Wünsche: So sehnt sich Chenoa danach, „abends mal mehr Freiraum“ genießen zu dürfen, Yannick plädierte für „eine stärkere Förderung von Randsportarten“ und Björn durchaus für mehr Zeit zum Lernen. Tim kommt klar mit den Anforderungen im G-8-System und sagte zudem: „Ich möchte 2017 um eine Chance in der U-18-Nationalmannschaft kämpfen – ohne Internat würde sich mir diese Möglichkeit niemals bieten.“
Ruth Funk: „Wir haben die Strukturen“
Peter Bochnia bat anschließend Stadträtin Cornelia Wilkens, Internatsleiterin Ruth Funk, die Sportwissenschaftlerin Prof. Karen Zentgraf, Pascal-Chef Ralf Brameier und Jürgen Brüggemann, Geschäftsführer der Sportstiftung NRW, auf die Bühne. Der lobte Münster als „einen von zehn herausragenden Standorten in NRW“, den weiterzuentwickeln das Ziel sei. „Leider müssen wir uns mit immer mehr Verwaltungsaufgaben beschäftigen, von denen der Sport nichts mitbekommt.“ Leistungssport lohne sich auch heute noch, wenn denn „die Perspektive für die Zeit danach stimmt.“ Gerade die Eltern von Internatsbewohnern „brauchen das Vertrauen darin, dass wir uns um die Karrieren ihrer Kinder kümmern.“
Foto: Jürgen Brüggemann, Cornelia Wilkens, Karen Zentgraf, Ruth Funk, Ralf Brameier, Moderator Peter Bochnia (v. links)
Ruth Funk weiß, „dass wir in Münster die Strukturen haben, aber nicht die Zeit.“ Der überaus eng getaktete Stunden- und Trainingsplan lasse kaum Raum für Notwendigkeiten wie der physiotherapeutischen Betreuung. Unter anderem um die zu gewährleisten richtete Prof. Zentgraf, die neue Vizepräsidentin des USC Münster, den Wunsch an die Poltik, „vernetzt zu denken“ und nicht den Besitzstand im Fokus zu haben. „Wir können die vernetzte Sportstadt aufbauen und für die kurzen Wege sorgen, die die jungen Leistungssportler brauchen.“ Als „Mittler zwischen Ausbildung und Uni“ sieht Cornelia Wilkens (SPD) als Dezernentin für Soziales, Integration, Kultur und Sport die Stadt gefordert. Die Politik werde den Internatsträgerverein weiter unterstützen. Damit die NRW-Sportschule auch den Rahmen bieten könne, müsse laut Brameier die nahe dem Pascal geplante Dreifachhalle „zeitnah auch gebaut werden.“
Abende wie dieser bringen die Menschen im Thema zusammen. Auch dieses Zusammenkommen fördert die viel zitierte Vernetzung aller Stellen, die verantwortlich sind. In diesem Fall für die Zukunft der jungen Leistungssportler in Münster.